Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie ist im vergangenen Jahr 2021 wieder kräftig gewachsen. Sowohl die preisbereinigte Produktion als auch die nominalen Umsätze stiegen um zehn Prozent. Die Exporte legten ebenfalls um ein Zehntel zu. Damit konnten die pandemiebedingten Verluste aus dem vorherigen Krisenjahr 2020 nicht nur wieder aufgeholt, sondern sogar deutlich überkompensiert werden. Mit 200,4 Milliarden Euro lagen die Branchenerlöse im letzten Jahr so hoch wie nie zuvor. Noch dynamischer verlief die Entwicklung der Auftragseingänge. Hier konnte 2021 ein Plus von fast einem Viertel verbucht werden. Entsprechend sitzen die Unternehmen aktuell auf rekordhohen Auftragsbeständen, die jetzt knapp sechs Monate weit reichen. Mit 88 Prozent sind die Kapazitäten überdurchschnittlich hoch ausgelastet.
Die ersten sieben Monate dieses Jahres verliefen allerdings wesentlich moderater – umso mehr, wenn man die Daten preisbereinigt betrachtet. Hier dürften sich bereits die multiplen Herausforderungen widerspiegeln, vor denen wir stehen. Man denke nur an die hohe Inflation, die anhaltenden Probleme in den Lieferketten, die Null-Covid-Strategie und damit verbundene Einschränkungen in China, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs oder vermehrte Handelsschranken bedingt durch politische Fragmentierung.
Tief in globale Arbeitsteilung integriert
Kaum eine Industriebranche ist so tief in die internationale Arbeitsteilung integriert wie die Elektroindustrie. Mit Exporten (einschließlich Re-Exporten) im Wert von 224,6 Milliarden Euro im vergangenen Jahr steuert sie rund ein Sechstel aller gesamtdeutschen Warenausfuhren bei. Dabei sind China und die USA die beiden größten Einzelabnehmerländer. Unser Bestand an Direktinvestitionen im Ausland belief sich zuletzt auf 46,8 Milliarden Euro. Das sind 15 Prozent der entsprechenden Auslandsbestände der deutschen Industrie insgesamt.
Die deutschen Elektroexporte nach Russland fielen zwischen Januar und Juli 2022 auf einen Wert von einer Milliarde Euro. Damit waren sie nur noch halb so hoch wie im gleichen Zeitraum des Jahres davor. Der Anteil der Lieferungen nach Russland an den Gesamtexporten der Branche ist auf ein Prozent geschrumpft. Im Abnehmer-Ranking steht das Land inzwischen nur noch an Position 29. Zur Einordnung: Vor der Invasion lag es hier noch an 16. Stelle, und vor zehn Jahren war es sogar noch unter den Top-ten.
Versorgungsengpässe und Fachkräftemangel
Als der zweitgrößte Arbeitgeber im Verarbeitenden Gewerbe zählte die heimische Elektro- und Digitalindustrie Ende Juli dieses Jahres über 886.000 Beschäftigte und damit zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Die Anzahl der Kurzarbeiter in der Branche ist inzwischen auf nur noch 7.600 zurückgegangen. Im Mai 2020 hatte sie bedingt durch die Corona-Pandemie bei fast 182.000 gelegen. Die gute Beschäftigungssituation ist nicht zuletzt Ausdruck des Fachkräftemangels, den derzeit jedes zweite Unternehmen beklagt.
Ein noch viel größeres Produktionshemmnis stellen die Versorgungsengpässe dar. Seit etlichen Monaten berichten 90 Prozent der Branchenfirmen von Materialknappheit und Lieferschwierigkeiten. Seit Beginn der entsprechenden Datenreihe hat es das in dieser Form noch nicht gegeben – weder in den 2000er Jahren rund um die Aufblähung und das Platzen der Dotcom-Blase noch nach der Erholung von der globalen Finanzkrise. Damals – ab 2010 – fehlten erinnerlich vor allem Seltene Erden.
Erdgas teilweise unverzichtbar
Wie sieht es mit der Energieintensität und der Abhängigkeit von Gas aus? Zwar gehört die Elektroindustrie nicht zu den energieintensiven Branchen. Weniger als zwei Prozent der Kosten für den gesamten Material- und Wareneingang entfallen auf elektrischen Strom zuzüglich Fernwärme, Gas und Öl. In einigen Fachbereichen allerdings ist etwa Erdgas im Produktionsprozess unverzichtbar. Das gilt beispielsweise für Halbleiter, Batterien, spezielle Kabel oder Teile der Automation. Auch für Wärmepumpen wird Erdgas in einzelnen Herstellungsschritten benötigt. Dabei spielen viele unserer (Hoch-)Technologien eine unersetzliche Rolle zur Aufrechterhaltung kritischer Infrastrukturen. Ohne die kontinuierliche Bereitstellung von Elektro- bzw. Automatisierungs- bzw. Halbleiterkomponenten kann beispielsweise in der Chemie-, Pharma- oder Ernährungsindustrie die Produktion nicht aufrechterhalten werden. Mehr denn je werden die Technologien der Elektro- und Digitalindustrie benötigt, um den Ausbau Erneuerbarer Energien sowie die Elektrifizierung insgesamt voranzutreiben und damit unabhängiger von fossilen Energieträgern zu werden.
Die wesentlichen Leitmärkte für die Unternehmen der Elektroindustrie lassen sich – alphabetisch – mit den Schlagworten Components, Consumer, Energie, Gebäude, Gesundheit, Industrie und Mobilität umreißen. Dabei sind die Digitalisierung sowie die Elektrifizierung von herausragender Bedeutung und ziehen sich querschnittsartig durch alle Segmente. Erst die Technologien unserer Branche machen es überhaupt möglich, die enormen Wachstumspotenziale all dieser Märkte zu heben. Insoweit ist die Elektro- und Digitalindustrie strukturell sehr gut aufgestellt. Das gibt grundsätzlich Rückenwind, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der konjunkturelle Gegenwind aktuell stramm von vorne weht.